Perspektivwechsel: „Lass mich bitte mich sein“

Ein bemerkenswertes Gedicht einer außergewöhnlichen jungen Frau (16 Jahre), Tochter einer Mitarbeiterin, die sich sehr reflektiert mit Ihrem Autismus auseinander gesetzt und ihr inneres Erleben zu Papier gebracht hat:

Lass mich bitte mich sein

in meinem ich-Sein bin ich anders als vielleicht Du,
brauche mehr Ruhe, mehr Pausen, mehr Zeit –
fühle viel stärker, höre viel lauter – als vielleicht Du.
So lass mich bitte mich sein.

In meinem ich-Sein bin ich vielleicht schwierig – für
dich.
Doch bist du es auch – manchmal für mich.
Struktur ist wichtig, ich bin nicht spontan, muss mich
verlassen,
bin sonst verlassen, allein sowieso, so fühle ich mich
sicher.
Lass mich einfach mich sein.

Es ist so viel, ich merke die Schwingung.
Es geht alles schnell, ist oft sehr verwirrend –
durch Unsicherheit irrend – geht es mir nicht so gut,
der Rückzug ist wichtig – und richtig. Sonst kommt da
die Wut.
Lass mich bitte mich sein.
Ich spüre viel schneller, was los ist – als vielleicht Du.

Ich werde geliebt und liebe auch sehr, kann so viele
Dinge.
Man muss mich dazu bringen. Ich brauche viel Mut.
Oft ist da die Angst, ich will nicht versagen – kann ich
es wagen?
Wenn du mir hilfst, dann geht es vielleicht. Du kennst
dich dort aus – in deiner Welt.

Doch lass ich dir dein Du-Sein sein, du lässt mir mein
ich-Sein
– ich brauche meine Welt, meinen Ort, meine Ruhe.
So könnten wir wir sein – jeder für sich, vielleicht
gemeinsam?
Lass mich bitte mich sein – nicht zu oft allein – sonst
werde ich einsam.

LR