Sensorische Besonderheiten verstehen und begleiten

Viele autistische Kinder und Jugendliche erleben ihre Umwelt in einer Intensität, die neurotypische Menschen kaum erahnen. Sensorische Besonderheiten beeinflussen dabei nicht nur das Wohlbefinden, sondern auch das Lernen und denr sozialen Alltag. Wer die individuellen Wahrnehmungsmuster kennt, kann Reizüberflutung vorbeugen und Entwicklungsspielräume eröffnen.

Warum spielen sensorische Besonderheiten bei Autismus eine so große Rolle

Ein Übersichtsartikel von Camino Alarcón und Kolleg:innen aus dem Jahr 2024 zeigt, dass mehr als 90 Prozent aller Menschen im Autismus Spektrum mindestens eine Form von sensorischer Überempfindlichkeit oder sensorischer Unterempfindlichkeit aufweisen. Das Gehirn filtert Geräusche, Licht und Berührung weniger zuverlässig, wodurch alltägliche Situationen schnell anstrengend werden. Ein Klassenzimmer mit surrenden Beamer Lüftern, grellem Neonlicht und dichtem Stimmengewirr kann sich anfühlen, als stünde man mitten auf einem Rockkonzert. Gleichzeitig suchen einige Kinder starke Reize, weil ihr taktiles Empfinden oder die Wahrnehmung von Körperbewegung gedämpft ist. Die Mischung aus zu viel und zu wenig Input macht jedes sensorische Profil einzigartig.

Wie äußert sich Reizüberflutung im schulischen Alltag

Reizüberflutung baut sich oft langsam auf. Zuerst kneifen die Augen, dann schlägt das Herz schneller, schließlich kippt die Stimmung in Wut oder Rückzug. Lehrkräfte und Schulbegleitungen beobachten, dass betroffene Schüler:innen plötzlich den Kopf auf den Tisch legen, mit den Händen wedeln oder den Raum verlassen. Solche Signale sind kein Ungehorsam, sondern zeigen eine akute Überlastung. Ein geplanter Rückzugsrasum mit weichen Sitzsäcken, gedimmtem Licht und einer Sanduhr zum Zeitmessen ermöglicht es, das Nervensystem zu beruhigen, ohne das Gefühl des Ausschlusses zu erzeugen.

Praktische Strategien für Klasse und Zuhause

Ein ruhiger Sitzplatz abseits von Lautsprechern oder Fensterrollos gegen flackerndes Sonnenlicht reduziert auditive Reize und visuelle Reize zugleich. Viele Jugendliche profitieren von Noise Cancelling Kopfhörern, die sie während stiler Einzelarbeitsphasen nutzen dürfen und die bei Gruppenarbeit beiseitegelegt werden. Wer das taktile Empfinden unterstützen möchte, kann strukturierte Alltagsgegenstände einsetzen, etwa eine tastbare Matte unter den Füßen oder einen Knetball in der Hosentasche. Wichtig bleibt, dass jede Anpassung gemeinsam mit dem Kind besprochen wird, damit Autonomie gewahrt bleibt.

Schulumgebung anpassen ohne großen Budgetaufwand

Nicht jede Schule kann Umbauten finanzieren, doch kleine Entscheidungen machen große Unterschiede. Wenn die Schulglocke durch ein Lichtsignal ergänzt wird, sinkt der Schreckmoment. Ein täglicher Stundenplan mit Farbcodes hilft, den Wechsel zwischen Fächern vorherzusagen und Sensorik besser einzuplanen., Lärmampeln, die farbig zeigen, wann der Geräuschpegel steigt, geben allen Lernenden Verantwortung. So profitieren auch neurotypische Klassenkamerad:innen von einer Reizärmeren Atmosphäre.

Von der Forschung zur gelebten Praxis

Die wissenschaftlichen Befunde legen nahe, dass sensorische Besonderheiten keine Randthematik sind, sondern ein Kernmerkmal des Autismus Spektrums. Schulen, Therapieeinrichtungen und Familien sollten deshalb gemeinsam ein sensorisches Profil erstellen, das Stärken sichtbar macht und Stressoren benennt. Regelmäßige Anpassungen sind normal, denn Wahrnehmung verändert sich mit der Pubertät, dem Schulwechsel oder schlicht durch den Tagesspaziergang zur Bushaltestelle. Ein offener Dialog schützt vor Missverständnissen und stärkt das Selbstwertgefühl autistischer Kinder und Jugendlichen.

Fazit

Sensorische Besonderheiten fordern uns dazu auf, Lernumgebungen flexibler und menschlicher zu gestalten. Wenn wir Reizquellen identifizieren, Rückzugsräume anbieten und Hilfsmittel wie Noise Cancelling Kopfhörer einsetzen, entstehen Räume, in denen Autismus nicht als Störung, sondern als unterschiedliche Art der Wahrnehmung gesehen wird. Diese Perspektive fördert Teilhabe und baut Barrieren ab, bevor sie entstehen.

JuCare begleitet Ihren Weg

Die JuCare Akademie vertieft das Thema Sensorik in praxisnahen Fortbildungen und zeigt, wie einfache Anpassungen Lehrkräfte entlasten. Ergänzend lesen Sie gern unsere Artikel zu  Angsttherapie bei autistischen Kindern, um ein umfassendes Bild vom schulischen Alltag autistischer Lernender zu gewinnen, Persönliche Fragen beantworten wir jederzeit über die Kontaktseite.

Quellen

Camino Alarcón, V. et al. (2024). A Systematic Review of Treatment for Children with Autism Spectrum Disorder: The Sensory Processing and Sensory Integration Approach
Autism Speaks. (2022). Sensory Issues Fact Sheet.
Deutsche Gesellschaft für Kinder und Jugendmedizin. (2021). Empfehlungen zur Gestaltung sensorisch angepasster Klassenzimmer.