Autismus in der Pubertät: Wegweiser für eine stürmische Entwicklungsphase

Autismus in der Pubertät konfrontiert Familien, Lehrkräfte und Fachkräfte mit einer Fülle neuer Fragen und Gefühle. In diesem Beitrag lesen Sie, welche Chancen und Stolpersteine in dieser Lebensphase liegen und wie gezielte Unterstützung die Identitätsfindung stärkt und Jugendliche resilient macht. Sie erhalten praxisnahe Strategien, die sich unmittelbar im Klassenraum oder zuhause umsetzen lassen.

Was verändert die Pubertät für autistische Jugendliche?
Pubertät bedeutet nicht nur hormonelle Veränderungen, raschen Körperwuchs und neue soziale Erwartungen, sondern auch den Abschied von jahrelang eintrainierten Alltagsroutinen. Autismus in der Pubertät verstärkt diese Dynamik, weil gewohnte Abläufe plötzlich nicht mehr passen oder sich schlicht falsch anfühlen. Studien von Theunissen 2023 belegen, dass der Stresslevel messbar steigt, sobald Schlafrhythmus, Appetit und Konzentrationsfähigkeit schwanken. Sensorische Überlastung nimmt zu, wenn der Körper stärker schwitzt, sich Stimmhöhe ändert oder neue Gerüche entstehen und dabei ungefiltert auf ein ohnehin reizempfindliches Nervensystem treffen, das bereits im Grundschulalter überlastet war.

Viele Jugendliche erleben emotionale Regulation, also die bewusste Steuerung von Gefühlen, als noch schwieriger als zuvor. Stimmungsschwankungen treten häufiger auf, Gefühle werden intensiver wahrgenommen und schwieriger in Worte gefasst. Hier hilft ein neuer Abendplan mit klaren Signalen für Entspannung: Ein fester Zeitpunkt für Musik hören, Yoga oder bewusstes Atmen erleichtert das Herunterfahren vor dem Schlafen und reduziert nächtliche Wachphasen.

Wie wirken hormonelle Veränderungen auf Verhalten und Wahrnehmung?
Hormonelle Veränderungen beeinflussen Neurotransmitter wie Serotonin und Dopamin, die wiederum emotionale Regulation steuern. Autistische Jugendliche berichten, dass kleinste Reize plötzlich Wut oder tiefe Traurigkeit auslösen; ein harmloses Geräusch im Klassenzimmer reicht mitunter, um eine Kettenreaktion von Reizüberflutung, Angst und Rückzug zu starten. Regelmäßige Bewegung kann körperliche Unruhe mindern, den Schlaf stabilisieren und das Stresshormon Cortisol senken.

Wie erklären wir sexuelle Aufklärung autismusgerecht?
Sexuelle Aufklärung bei Autismus gelingt am besten, wenn Inhalte konkret, visuell unterstützt und wiederholbar sind. Bilder, Ampelkarten zu Einwilligung sowie Rollenspiele zum Thema Grenzen vermitteln, was Worte allein nicht sagen können. Autistische Jugendliche können beispielsweise vom einem Zeitstrahl profitieren, der die Phasen einer Beziehung abbildet, vom Kennenlernen bis zum möglichen Schlussmachen.

Lehrer:innen sollten Aufklärung in kleinen Gruppen oder Einzelsettings gestalten, damit Fragen laut gestellt werden dürfen. Internetrecherche ohne Begleitung führt leider oft zu Fehlinformationen. Eltern und Schulbegleitungen unterstützen, indem sie geprüfte Webseiten empfehlen und einen Medienvertrag aufsetzen, der regelt, wann und wo recherchiert wird. Soziale Interaktion unter Teenagern schließt digitale Räume ausdrücklich ein, daher gehören Chatregeln und Privatsphäre in jedes präventive Aufklärungsprogramm.

Welche Rolle spielt emotionale Regulation im Klassenraum?
Autismus in der Pubertät erhöht das Risiko für unvorhergesehene Gefühlsausbrüche, weil hormonelle Veränderungen und sensorische Reize Hand in Hand gehen. Emotionale Regulation lässt sich trainieren, wenn Lehrkräfte feste Rückzugsorte anbieten, zum Beispiel eine Leseecke mit Noise Cancelling Kopfhörern oder eine kurze Bewegungspause auf dem Schulhof. Ein Feel-Good-Kärtchen auf dem Tisch signalisiert, wann ein Schüler mal fünf Minuten Ruhe braucht.
Schulbegleitungen unterstützen, indem sie nonverbale Zeichen erkennen, früh deeskalieren und später reflektieren, was geholfen hat. Diese Doppelrolle aus Beobachten und Begleiten schafft Vertrauen; die Jugendlichen wissen, dass jemand sie versteht, noch bevor eine Krise eskaliert.

Wann braucht es professionelle Hilfe?
Manche Veränderungen übersteigen familiäre Ressourcen. Anhaltender Schlafmangel, extremes Essverhalten oder selbstverletzendes Verhalten sind Alarmsignale, bei denen Fachleute hinzugezogen werden sollten. Ein:e Kinder- und Jugendpsychiater:in klärt hormonelle Ursachen, prüft Komorbiditäten wie Angststörungen und empfiehlt passende Therapien.

Kognitive Verhaltenstherapie, Skillstraining zur emotionalen Regulation und Gruppenprogramme für soziale Kompetenzen erzielen mittlerweile gut belegte Erfolge. Schulbegleitungen unterstützen die Übertragung der Therapieinhalte in den Schulalltag, indem sie die Methoden regelmäßig auffrischen.

Fazit
Autismus in der Pubertät fordert alle Beteiligten, bietet aber enorme Chancen für persönliches Wachstum. Mit klarer Kommunikation, geschützten Rückzugsorten und professioneller Elternberatung meistern Jugendliche hormonelle Veränderungen, emotionale Regulation sowie peer Beziehungen. Ein verlässliches Netzwerk aus Schule, Schulbegleitungen und Familie legt den Grundstein für eine selbstbewusste Identitätsfindung.

Quellen
Theunissen, G. (2023). Autismus und Pubertät. Menschen. Universität Halle.
Lai, M. C. et al. (2019). Comorbidity of Autism and ADHD. Lancet Psychiatry.
BZgA. Leitfaden Sexualpädagogik bei Autismus. 2022.